Wohn- und Geschäftshaus Stellwerk 2, Winterthur

Am Bahnsteig des Winterthurer Bahnhofs stehen die Bauten wie die Waggons einer Zugkomposition: glänzende Wagen sind an staubige gekoppelt, hiesige an fremdländische, futuristische an altmodische. Die Gebäude auf dem schmalen Streifen an den Gleisen gehören eigentlich mehr zum Netz der Eisenbahn als zum Gewebe der Stadt. Insbesondere der neu angehängte Waggon wirkt so, als sei er mehr Mobilie als Immobilie. Das hat mit seiner Form zu tun: So wie Eisenbahn- oder Tramwagen an ihren Ecken abgefast sind, um in Kurven nicht auf die Gegenfahrbahn hinauszuragen, so sind auch am neuen Gebäude die Enden verjüngt. Die Verjüngungen dienen hier indes nicht dazu, das Gebäude ungehindert bewegen zu können, sondern um es im Gegenteil am Ort zu verankern und in Beziehung zu setzen. Denn ihre konkave Form wirkt komplementär zur konvexen Bewegung der Bauten gegenüber. Und vielleicht bildet sich darin auch die erodierende Kraft des Verkehrsstroms ab, der die Tief- und Hochbauten dieses Ortes so markant geformt hat. Direkt am Gleiskopf und hoch über der Strasse gelegen, verlangt die exponierte Lage nach einem ‚Anchor Building’. Darum ist die Regelhaftigkeit der Gebäudeform so wichtig: Diesem Baukörper sieht man nicht an, welche Kräfte der Umgebung ihn geformt haben könnten, sondern man traut ihm im Gegenteil zu, dass er seinerseits auf die Umgebung formend eingewirkt hat. Dank der beidseitigen Verjüngung erhält die Stirnfassade eine stehendere, elegantere Proportion. Ausserdem wird die formende, gleichsam erodierende Kraft der beidseits einwirkenden Verkehrsströme veranschaulicht.


An den Interieurs der luxuriösen Schlafwagen von einst fasziniert uns die Kombination von grösstem Komfort und grösster Effizienz. Auf knappstem Raum finden sich da Wohnräume mit tiefen Sesseln, Klapptische im Licht von Schirmlampen, Garderoben, Schrankabteile, Alkoven zum Schlafen und Badezimmer. Während vor dem Fenster die Welt vorbeizieht, sitzt man behaglich im Sessel und hängt seinen Gedanken nach. Könnte nicht genau dies der Vorstellung vom Wohnen im Micro-Apartment hoch über den Gleisen entsprechen? Nomadisch, mit leichtem Gepäck, aber mit hohem Komfortanspruch und mitten drin im städtischen Geschehen, dessen Geräuschkulisse gedämpft bis ins Innere der Wohnung dringt. Auf dieser ‚Erzählung’ baut die Konzeption der Wohnungen auf. Die Wohngeschosse sind Eisenbahnwagen nachempfunden. So wie die Wagen auflagern zwischen zwei Drehgestellen, so sind die Wohngeschosse aufgespannt zwischen zwei runden Treppenhäusern. Ein breiter Mittelgang verbindet sie und erschliesst die beidseitig aufgereihten Abteile der Wohnungen. Diese werden von einem zentralen Möbelkorpus zoniert, ohne dass dadurch die räumliche Kontinuität des Allraums fragmentiert würde. Geschützt von einer tiefen Loggia, bildet der introvertierte Schlafbereich eine dämmrige, verschwiegene Höhle, während der extrovertierte Wohnbereich zu einem eigentlichen Ausguck wird. So kommen auf knappstem Raum verschiedenste Wohnwelten zusammen. Drehbare Schränke, Türen mit Zapfenbändern und Vorhänge in endlosen Schienen regeln die räumlichen Verhältnisse und erinnern an die mechanischen Verwandlungskünste von Schlafwagen-Interieurs. 

Projektart: Wettbewerb im selektiven Verfahren, 2019, 1. Preis
Planung und Ausführung: 2021 -
Adresse: Bahnhofplatz 25 & 27, 8400 Winterthur
Programm: Neubau mit 66 Wohnungen, 2 Bürogeschossen, Retail und Velostation
Bauherrschaft: SBB AG, Immobilien Development, Zürich
Auftragsart: Generalplanung

Mitarbeit Wettbewerb: Jillin Ettlin, Christian Ott, Mattia Furler, Xijie Ma, Steffen Jürgensen
Mitarbeit Ausführung: Jillin Ettlin (PL), Beat Lengen (PL), Martin Golay, Sacha Rezzonico, Jeran Rüeger, Michael Steiger, Allegra Stucki, Valeria Triulzi, Sidonia Wiesmann

Bauingenieur: DSP Ingenieure + Planer AG, Uster
Baumanagement: GMS Partner AG, Zürich-Flughafen
Elektroplanung: Gutknecht Elektroplanung AG, Au (ZH)
Haustechnik & Sanitärplanung: Planforum GmbH, Winterthur
Bauphysik & Akustik: Wichser Akustik & Bauphysik AG, Zürich
Visualisierung: Indievisual AG, Zürich


Situation Situation
Situation
Blick von der Schaffhauserstrasse - Visualisierung: Indievisual Blick von der Schaffhauserstrasse - Visualisierung: Indievisual
Blick von der Schaffhauserstrasse - Visualisierung: Indievisual
Reisen ohne Gepäck, aber mit allem Komfort: Filmstill aus «North by Northwest»,  Alfred Hitchcock, 1959
Grundriss 3. - 6. OG (Wohnen) Grundriss 3. - 6. OG (Wohnen)
Grundriss 3. - 6. OG (Wohnen)
Visualisierung Erschliessung - Visualisierung: Esch Sintzel Visualisierung Erschliessung - Visualisierung: Esch Sintzel
Visualisierung Erschliessung - Visualisierung: Esch Sintzel
Visualisierung Erschliessung - Visualisierung: Esch Sintzel Visualisierung Erschliessung - Visualisierung: Esch Sintzel
Visualisierung Erschliessung - Visualisierung: Esch Sintzel
Visualisierung Erschliessung - Visualisierung: Esch Sintzel Visualisierung Erschliessung - Visualisierung: Esch Sintzel
Visualisierung Erschliessung - Visualisierung: Esch Sintzel
Modellbild Wohnungseingang Modellbild Wohnungseingang
Modellbild Wohnungseingang
Modellbild Wohnung Modellbild Wohnung
Modellbild Wohnung
Modellbild Wohnung Modellbild Wohnung
Modellbild Wohnung
Blick von den Gleisen - Visualisierung: Indievisual Blick von den Gleisen - Visualisierung: Indievisual
Blick von den Gleisen - Visualisierung: Indievisual
Tragwerksschema Tragwerksschema
Tragwerksschema
Querschnitt Treppenhaus Querschnitt Treppenhaus
Querschnitt Treppenhaus
Maisonette-Wohnung - Visualisierung: Esch Sintzel Maisonette-Wohnung - Visualisierung: Esch Sintzel
Maisonette-Wohnung - Visualisierung: Esch Sintzel